10.04.2015

Warum Facebook Rassismus sehr wohl (häufig) löschen muss

Der gleich an zwei  Orten erschienene jüngste Artikel des Kollegen Niko Härting zu Rassismus in sozialen Netzwerken trägt die Überschrift „Facebook ist keine Hilfspolizei“ – dem kann man ohne Zweifel zustimmen. Eine der Unterüberschriften lautet: „Rassismus ist nicht verboten, sondern erlaubt“. Das sollte nicht unwidersprochen bleiben.  Es ist ein fatales Signal so zu tun, als seien rassistische Äußerungen eben „nur“ politisch und menschlich zuwider und nicht justiziabel.

„Rassismus“, ein rechtlich untechnischer Begriff, ist in vielen Erscheinungsformen, die wir gerade bei Facebook & Co. sehen, sehr wohl rechtlich angreifbar und damit verboten. Da, wo er nicht strafbar ist, verletzen die Äußerungen vielfach das Persönlichkeitsrecht von Menschen. In beiden Fälle ist aber – nach entsprechender konkreter Kenntnisnahme - auch Facebook verpflichtet, die Inhalte zu entfernen. Und zwar im Übrigen auch nach den eigenen „Gemeinschaftsstandards“, deren Einhaltung jüngst Bundesjustizminister Maas gefordert hatte. Immer dann also, wo Menschen in den sozialen Netzwerken in der Diskussion direkt oder eine konkrete Gruppe (z. B. die Bewohner eines Flüchtlingsheims) in Posts unflätig angegangen werden, ist das sehr wohl verboten.

Nehmen wir das Beispiel, dass der Kollege Härting gewählt hat: Der Grünen-Politiker Özcan Mutlu bekam eine Mail mit abstoßendem, ihn persönlich beschimpfendem, ausländerfeindlichem Inhalt (der Inhalt soll hier nicht wiedergegeben werden; er ist hier nachzulesen). Die Staatsanwaltschaft stellte das Verfahren ein. Eine Entscheidung, die sich mit gesundem Menschenverstand nicht erklären lässt – sowohl das Delikt der Beleidigung als auch das der Volksverhetzung dürften erfüllt sein. Hier wird eine türkische Person konkret mit herabwürdigenden Äußerungen angegriffen. Es gibt die zweifelhafte Praxis vieler Staatsanwaltschaften, Äußerungsdelikte nicht effektiv zu verfolgen – zu viel anderes zu tun, man kennt das. Die Entscheidung Mutlu ist schlicht falsch.

Lassen wir aber mal die Strafbarkeit beiseite: Es gibt auch einen zivilrechtlichen Schutz vor derartigem. Das Allgemeine Persönlichkeitsrecht wird strafrechtlich durch die Äußerungstatbestände geschützt, ist aber auch „sonstiges Recht“ im Sinne des zivilrechtlichen § 823 BGB. Der Schutz ist keineswegs stets kongruent. Da es sich beim Allgemeinen Persönlichkeitsrecht um ein Rahmenrecht handelt, muss zivilrechtlich eine Abwägung erfolgen, ob die sachliche Kritik im Vordergrund (dann zulässige Meinungsäußerung) steht oder die bloße Herabwürdigung (dann verbotene Schmähkritik). Bei den Äußerungen gegen Mutlu gibt es an letzterem keinen Zweifel. So einfach ist diese zivilrechtliche Prüfung. Beim Strafrecht werden deutlich höhere Maßstäbe angelegt, auch weil es um eine viel stärkere Sanktion geht (zivilrechtlich: meist Unterlassung; strafrechtlich: Geld- oder Freiheitsstrafe).

Wichtig auch: Im Gegensatz zur Strafbarkeit bedarf es für einen zivilrechtlichen Unterlassungsanspruch aus §§ 823, 1004 BGB, Art. 1 I, 2 I GG keines Verschuldens.  Steht aber die Rechtsverletzung durch den (anonymen) Äußernden fest, muss Facebook nach Kenntnisnahme von der Rechtsverletzung diese Äußerung entfernen. Ganz ohne Staatsanwalt. Keine Rede davon, dass dieser Rassismus „erlaubt“ sei. Also: Verbotenen Rassismus sehen wir nicht nur, wenn ein Staatsanwalt anklagt oder jemand strafrechtlich verurteilt wird.

Aufgrund der „Gemeinschaftsstandards“ von Facebook dürfte es auch egal sein, ob der Angegriffene selbst oder ein Dritter die rassistische Äußerung meldet. Denn in den Regeln von Facebook heißt es: „Facebook entfernt sämtliche Hassbotschaften, d. h. Inhalte, die Personen aufgrund der folgenden Eigenschaften direkt angreifen: Rasse, Ethnizität, Nationale Herkunft, Religiöse Zugehörigkeit, sexuelle Orientierung, Geschlecht bzw. geschlechtliche Identität oder Schwere Behinderungen oder Krankheiten.“

Erstens: Kein Wort davon, dass die Äußerungen strafbar sein müssen. Sie müssen lediglich „Personen direkt angreifen“. Das deckt sich mit der Formulierung des Bundesverfassungsgerichts, dass bei Beleidigungen ein „Bezug zu einer hinreichend überschaubaren und abgegrenzten Personengruppe“ (BVerfG, Beschluss vom 26.02.2015, Az. 1 BvR 1036/14) bestehen muss. Zweitens: Es sagt auch keiner, dass der Betroffene selber diesen Rechtsverstoß melden muss.

Und so wird es sich häufig verhalten: Überall dort, wo rechte Deppen Beleidigendes über die Menschen im Asylbewerberheim in der Nachbarschaft schreiben, kommt vielleicht ein Staatsanwalt nicht zur Einschätzung „Beleidigungsdelikt erfüllt“. Gleichwohl ist aber nach deutschem Recht das Allgemeine Persönlichkeitsrecht der dort Lebenden verletzt - und das reicht für die Rechtspflicht von Facebook zur Löschung.

So zu tun, als verlange Maas von Facebook durchgängig Legales zu löschen, wird der Sache nicht gerecht – so viel Populismus auch in seinem Gebaren und dem „offenen Brief“ an Facebook steckt.  Zumal ich nach wie vor nicht sehe, dass er verlangt, anlassunabhängig zu löschen, also ohne vorab darauf aufmerksam gemacht worden zu sein.

Ganz so einfach kann Facebook es sich also nicht machen. Und das ist gut so. Mag eine Gesellschaft es "aushalten" müssen, wenn allgemeiner Stumpfsinn, der noch nicht volksverhetzend ist, durchs Netz gepustet wird. Wenn es um konkrete Gruppen und Personen geht, muss gehandelt werden. Denn niemand muss sich beleidigen oder verhetzen lassen. Und genau darum geht es in vielen Fällen.

 

Autor: 
Dominik Höch